So macht ein Bild Ikonen. Unsterbliche Jugend. Jede Menge Sex-Appeal. Rebellische Energie und Coolness: Die Haare kunstvoll verwirrt, die Halsbinde wie vom Winde verweht, die Lippen (gekränkt?) zusammengepresst, die Augen nach oben verdreht, der Blick wie berauscht und irr. David Bowie, James Dean, Jim Morrison oder Bob Dylan, Lou Reed, Holden Caulfield – oder: Arthur Rimbaud. Die Bowies und Morrisons sind Kopien. Das Foto ist mit Rimbaud berühmt geworden, ist er und ist ein anderer, passt zu seinem Image, dem Bild, das er und sein Geliebter Verlaine verbreiteten. Den Fotografen, Étienne Carjat, machte es unsterblich.
Étienne Carjat, 1828-1906, stand immer ein wenig im Schatten des großen, erfolgreichen Kollegen Nadar (eigentlich: Gaspard-Félix Tournachon). Wie Nadar war er Fotograf und Karikaturist der Schönen, Reichen und Berühmten, wie Nadar war er Journalist, Schriftsteller, Verleger, Bohémien. In Paris, wo sonst?! Ein Foto-Selbstportrait zeigt ihn 1865 mit verschmitztem Blick, ein Bäuchlein unter dem weiten Rock, die Schläfen schon deutlich gelichtet.
Ab den 1860er Jahren gelingen ihm Fotografien, die in ihrer Dichte ihresgleichen suchen: 1862 ein Portrait von Charles Baudelaire, korrekt gekleidet wie ein Gerichtsassessor starrt er streng, intensiv und direkt in die Kamera, von Ausschweifungen und Drogenexzessen keine Spur, ausgenommen vielleicht die leicht schattigen Augenhöhlen. Ausgerechnet Baudelaire, der die Fotografie für die "Zuflucht" fauler, unbegabter Maler hielt. In Carjats Portrait scheint Eugène Delacroix selbst zu einem dieser monströsen Wesen der Delacroix-Welt zu mutieren – liegt es am schmalen, fein konturierten Mund und den zusammengepressten Lippen? Wie Baudelaire und viele Zeitgenossen sah Delacroix auf die Fotografie herab – was Künstler nicht davon abhielt, dasselbe Bohémien-Leben zu führen, in den gleichen Zirkeln zu verkehren und sich der Fotografie zu bedienen, nicht nur des eigenen Portraits. Maler nutzen Fotografien auch als Vorlagen für ihre Gemälde. Wie Nadar konzentriert sich Carjat in seinen Portraits auf die Person, ihre Gestik und Mimik. Der Hintergrund blieb bewusst einfach und ohne Dekoration, "typische" Foto-Accessoires wie zum Beispiel Vorhang oder Klavier fehlten, Akzente wurden vor allem durch die "Rembrandt"-Beleuchtung in der meist dunklen Umgebung (den sogenannten Chiaroscuro-Effekt), die durch Licht und Schatten modulierten Gesichtszüge und die Pose erzeugt. Gustave Courbet ließ sich unzählige Male von seinem Freund Carjat für Grußkarten, den cartes de visite, fotografieren, je nach Laune und Anlass mit völlig unterschiedlicher Aussage: Für ihn war Étienne Carjat sein Biograf.
Carjat unterstützte 1871 den Aufstand der französischen Nationalgarde und Arbeiterschaft und die nur 72 Tage währende sozialistische Pariser Kommune, die von der bürgerlichen Thiers-Regierung niedergeschlagen wurde. 1871 entstand auch die berühmte Rimbaud-Fotografie, die heute nur noch als Kopie erhalten ist, denn: Im Januar 1872 eskalierte bei einem Künstler-Stammtisch ein Disput um das freche Benehmen von Rimbaud; Rimbaud verletzte Étienne Carjat, und Carjat soll daraufhin alle Original-Fotoplatten der Rimbaud-Portraits zerstört haben. Mitte der 1870er Jahre verkauft er das Atelier. War es die politische Lage, die Restauration nach 1871, oder die finanzielle Schieflage des Fotostudios? Über die letzten 30 Jahre von Carjats ist kaum etwas bekannt.
So macht ein Bild Ikonen. Unsterbliche Jugend. Jede Menge Sex-Appeal. Rebellische Energie und Coolness: Die Haare kunstvoll verwirrt, die Halsbinde wie vom Winde verweht, die Lippen (gekränkt?) zusammengepresst, die Augen nach oben verdreht, der Blick wie berauscht und irr. David Bowie, James Dean, Jim Morrison oder Bob Dylan, Lou Reed, Holden Caulfield – oder: Arthur Rimbaud. Die Bowies und Morrisons sind Kopien. Das Foto ist mit Rimbaud berühmt geworden, ist er und ist ein anderer, passt zu seinem Image, dem Bild, das er und sein Geliebter Verlaine verbreiteten. Den Fotografen, Étienne Carjat, machte es unsterblich.
Étienne Carjat, 1828-1906, stand immer ein wenig im Schatten des großen, erfolgreichen Kollegen Nadar (eigentlich: Gaspard-Félix Tournachon). Wie Nadar war er Fotograf und Karikaturist der Schönen, Reichen und Berühmten, wie Nadar war er Journalist, Schriftsteller, Verleger, Bohémien. In Paris, wo sonst?! Ein Foto-Selbstportrait zeigt ihn 1865 mit verschmitztem Blick, ein Bäuchlein unter dem weiten Rock, die Schläfen schon deutlich gelichtet.
Ab den 1860er Jahren gelingen ihm Fotografien, die in ihrer Dichte ihresgleichen suchen: 1862 ein Portrait von Charles Baudelaire, korrekt gekleidet wie ein Gerichtsassessor starrt er streng, intensiv und direkt in die Kamera, von Ausschweifungen und Drogenexzessen keine Spur, ausgenommen vielleicht die leicht schattigen Augenhöhlen. Ausgerechnet Baudelaire, der die Fotografie für die "Zuflucht" fauler, unbegabter Maler hielt. In Carjats Portrait scheint Eugène Delacroix selbst zu einem dieser monströsen Wesen der Delacroix-Welt zu mutieren – liegt es am schmalen, fein konturierten Mund und den zusammengepressten Lippen? Wie Baudelaire und viele Zeitgenossen sah Delacroix auf die Fotografie herab – was Künstler nicht davon abhielt, dasselbe Bohémien-Leben zu führen, in den gleichen Zirkeln zu verkehren und sich der Fotografie zu bedienen, nicht nur des eigenen Portraits. Maler nutzen Fotografien auch als Vorlagen für ihre Gemälde. Wie Nadar konzentriert sich Carjat in seinen Portraits auf die Person, ihre Gestik und Mimik. Der Hintergrund blieb bewusst einfach und ohne Dekoration, "typische" Foto-Accessoires wie zum Beispiel Vorhang oder Klavier fehlten, Akzente wurden vor allem durch die "Rembrandt"-Beleuchtung in der meist dunklen Umgebung (den sogenannten Chiaroscuro-Effekt), die durch Licht und Schatten modulierten Gesichtszüge und die Pose erzeugt. Gustave Courbet ließ sich unzählige Male von seinem Freund Carjat für Grußkarten, den cartes de visite, fotografieren, je nach Laune und Anlass mit völlig unterschiedlicher Aussage: Für ihn war Étienne Carjat sein Biograf.
Carjat unterstützte 1871 den Aufstand der französischen Nationalgarde und Arbeiterschaft und die nur 72 Tage währende sozialistische Pariser Kommune, die von der bürgerlichen Thiers-Regierung niedergeschlagen wurde. 1871 entstand auch die berühmte Rimbaud-Fotografie, die heute nur noch als Kopie erhalten ist, denn: Im Januar 1872 eskalierte bei einem Künstler-Stammtisch ein Disput um das freche Benehmen von Rimbaud; Rimbaud verletzte Étienne Carjat, und Carjat soll daraufhin alle Original-Fotoplatten der Rimbaud-Portraits zerstört haben. Mitte der 1870er Jahre verkauft er das Atelier. War es die politische Lage, die Restauration nach 1871, oder die finanzielle Schieflage des Fotostudios? Über die letzten 30 Jahre von Carjats ist kaum etwas bekannt.
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